Die Swatch Group mit ihren zahlreichen Tochtergesellschaften fertigt bekanntermaßen nicht nur exzellente Werke, die sie seit geraumer Zeit nur noch in reduzierter Stückzahl an Drittkunden liefert, sondern auch eine ganze Reihe von Uhrwerksteilen, die sonst kaum wo zu bekommen sind. Dazu zählt auch das Herzstück einer jeden Uhr, das Schwingungssystem, oder wie es im Fachjargon heißt, die Hemmungsbaugruppe.
Diese Hemmungsbaugruppe, auch Assortiment genannt, besteht in wesentlichen Teilen aus Unruh, Spiralfeder, Anker und Ankerrad. Zusätzliche Bauteile, damit das Ganze auch funktioniert, sind dann noch die Unruhwelle, die Lagersteine sowie die Stoßsicherung.
Klingt einfach, ist es aber nicht. Die Präzision und das Gangverhalten eines Uhrwerks und damit der ganzen Uhr hängt ganz wesentlich von diesen Bauteilen ab. Zum einen muss deren Fertigung mit äußerster Genauigkeit – auf tausendstel Millimeter – erfolgen, zum anderen sind die Dimensionierung der einzelnen Bauteile sowie die Berechnung der gesamten Baugruppe eine Wissenschaft für sich. Es gibt viele empirische Ansätze und diese sind für kleinere Stückzahlen auch völlig ausreichend. Da kann der Uhrmacher dann schon einige Zeit für die genaue Justage und Reglage eines jeden Uhrwerks aufwenden und so versuchen, die Toleranzen der Bauteile, die in dieser Baugruppe perfekt zusammenspielen müssen, so gut es eben geht, zu eliminieren.
Für eine preisgünstige Großserienfertigung funktioniert solch ein Ansatz nicht. Da bedarf es exakter Vorausberechnung und Dimensionierung mittel mathematischer Modelle, die sich dann in Form von Simulationsprogrammen anwenden lassen. Die Swatch-Group hütet diese Betriebsgeheimnisse wie einen Augapfel. Und bislang gibt es so gut wie keine alternativen Anbieter auf dem Markt, bei denen diese Baugruppen zu erschwinglichen Preisen bezogen werden könnten. Dass es sich im Grunde genommen aber um keinen Hokus Pokus handelt, sondern um berechenbare und wiederholgenau herstellbare Bauteile, beweisen eine ganze Reihe anderer Werkehersteller in Japan, Russland oder auch China, die ja noch nie von der Swatch-Group oder einer ihrer Töchter beliefert wurden. Insofern wundert es schon, dass in Europa so ein Aufhebens um dieses Thema gemacht wird und es bislang angeblich noch kein anderer Hersteller geschafft hat, das Schwingsystem in perfekter Qualität zu vergleichbar niedrigen Kosten zu produzieren.
NOMOS hat nun die Flucht nach vorn ergriffen und zusammen mit der Universität Dresden ein mathematisches Modell entwickelt, welches das Schwingungssystem und die ganze Hemmungsbaugruppe präzise abbildet. Damit lassen sich dann exakte Simulationen durchführen und die einzelnen Bauteile konstruktiv bestmöglich auslegen.
Da NOMOS ja bereits eine sehr hohe Fertigungstiefe in der Herstellung seiner Uhrwerke aufweisen kann und den hierfür nötigen Maschinenpark sein eigen nennt, war es eigentlich nur logisch, nun auch noch diesen Schritt zu gehen und damit die Abhängigkeit von Zulieferungen der Swatch-Group ganz wesentlich zu reduzieren.
Wie bereits erwähnt, gehört zu einem funktionierenden Schwingungssystem auch die mit hoher Präzision gefertigte Spiralfeder. Auch hierzu bedarf es ganz speziellen Know-Hows. Von der Zusammensetzung des Vormaterials (in der Regel Nivarox) angefangen, bis hin zum komplizierten, in vielen Einzelschritten ablaufenden Herstellungsprozess.
Über dieses Know-How verfügt aber eine ebenfalls in Deutschland ansässige Firma, nämlich Carl Haas in Schramberg. Die Firma Carl Haas ist ein Unternehmen der Kern-Liebers Gruppe, einem der weltweit größten und bedeutendsten Hersteller von Federn aller Art. Bei einigen automobilen Anwendung hat Kern-Liebers einen Weltmarktanteil von über 50%.
Der Ableger Carl Haas ist Spezialist für Präzisionsfedern für die Mess- und Medizintechnik sowie Uhren.
Was liegt also näher, als sich dieses Know-Hows zu bedienen und mit Spiralfedern von Carl Haas ein hauseigenes Schwingungssystem aufzubauen. NOMOS gab ihm den Namen Swing-System. Die bislang für die gesamte Entwicklung und Herstellung aufgelaufenen Aufwendungen beziffert NOMOS offiziell auf EUR 11,4 Mio., eine zweifellos stolze Summe. Jedoch soll sich die Investition nicht negativ auf die Preise der NOMOS-Uhren auswirken, so die Aussage von Roland Schwertner gegenüber dem Deutschen Uhrenportal, anlässlich der Baselworld 2014. NOMOS wird alle Werke Zug um Zug mit der neuen hauseigenen Hemmungsgruppe ausstatten.
Interessant in diesem Zusammenhang sind noch die Eigentumsverhältnisse bei der Kern-Liebers Gruppe bzw. Carl Hass. Es ist die in Schramberg ansässige Familie Steim, die Junghans 2009 aus der Insolvenz gerettet hat und heute Eigentümer dieser traditionsreichen deutschen Uhrenmarke ist. Das lässt zweifellos Raum für weitere Überlegungen.
Links:
Antworten